Wenn Leute Katzen Brillen anziehen...
Künstler: Gill’e cadith
Titel: ocha no machuudoku category
Typ: Mini-Album
Release: März 2002
Stil: Hard-Rock
Bewertung: 8.1 / 10
Trackliste:
01. mental tic soudanshitsu
02. jisatsu gokko
03. sakuran syrup
04. ephedrine na sanporo
05. erotic mail
Eines muss man den Jungs von Gill’e cadith lassen: Sie scheinen damals einen ordentlichen Schaden gehabt zu haben. Nicht nur die erwähnte Katze aus dem Booklet, nein. Es bedarf schon einiges, um ein Album mit Titeln wie "Selbstmord Gokko“ (Gokko ist offenbar eine Kugelfischart, die um Hokkaido lebt) und "Wartezimmer für mentale Tics“ in einem abartigen rosa Farbton mit Sternchen zu verzieren. Andererseits steigert die auffällige Optik die Vorfreude ungemein.
"mental tic soudanshitsu“ scheint allen Ernstes nicht nur ein auf Provokation ausgerichteter Titel zu sein. Zu Beginn muss man sich eine Empfangsdame auf Heliumtrip anhören, der offenbar ein Patient gerade sein Leiden schildert. Als nächstes folgt dann Easy Listening Piano Musik, die man zur Beruhigung auch schnell einer Irrenanstalt verkaufen könnte. Wenn das mal kein Intro ist.
"jisatsu gokko“ klingt ein wenig wie The Hives als Metal. Das heißt, zur Musik kann man headbangen, aber der Gesang hat mehr was von Intellektuellen-Pop. Der Bassist hat dem Mann hinter dem Mischpult wohl eine ordentliche Stange Geld hingelegt, denn auch bei dezentem Subwoofer-Einsatz dröhnt einem schon das Trommelfell. Der Refrain ist, wie so oft bei der Band, ein unglaublich melodisches Intermezzo, bevor die Gitarristen sich in den Vordergrund stellen dürfen. Ein wenig schade, dass die interessante Stimme von der Musik leicht übertönt wird. Zum Schluss noch schnell das Resultat des Kugelfischverzehrs und ein leicht zynisch hinterhergeworfenes „jisatsu gokko“.
"sakuran syrup“ tauchte ja schon im ersten Demotape auf - siehe andere Reviews zur Band - daher hier nur ganz kurz zusammengefasst. Ordentliche Riffs erfüllen das erste Viertel des fast vierminütigen Songs. Danach darf der Sänger in atonalen Strophen und überaus melodischen Refrains seine Stärken und Schwächen präsentieren. Und zum Ende noch einmal die Riffs vom Anfang.
"ephedrine na sanporo“ folgt einem ähnlichen Schema. Brachiale musikalische Untermalung, durch Synthesizer verzerrter Sänger und angenehm hörerfreundliche Refrains. An sich ist man das nach einigen Songs von der Band gewöhnt, aber sie schaffen es dann doch irgendwie, den Hörer mitzureißen. Es sind halt immer wieder die „upbeat“-Refrains, die einen doch von der Qualität überzeugen.
Der letzte Song des Mini-Albums erinnert an die Frühzeit des Internets, als man noch eine halbe Stunde Modem-Einwahlklänge hören musste, um kurz die Mails zu checken. In diesem Fall dauert die Einleitung zum Song glücklicherweise nur eine halbe Minute. Das, was danach folgt, ist bestens bekannt. Geniale Riffs, gewöhnungsbedürftiger Strophengesang und ein Refrain, von dem man sich wünscht, er würde das halbe Lied dauern. Die vier Musiker verstanden ihr Handwerk richtig gut, so glänzt auch hier im Mittelteil vor allem die geballte Kraft der Saitenzupfer.
Das eigentliche Highlight der CD - der finale Angriff auf sämtliche Gepflogenheiten - ist der Bonustrack, der sich an den letzten Song anschließt und durch eine etwa dreiminütige Pause von diesem getrennt ist. So viel sei verraten: man verpasst nicht viel, wenn man sich die Zeit nicht nimmt, aber es bietet zumindest eine Art von Erklärung, warum der letzte Song „erotic mail“ heißt.
Fazit:
„Ach du Schande! Meine Fresse! Hä?“ Diese und andere Superlative der alltäglichen Ausrufe der Verwunderung bleiben nach dem Durchhören hängen. Wie erwähnt, ist die Scheibe unheimlich simpel gestrickt. Dafür müsste man die fünf Musiker eigentlich Kielholen oder in die Wüste schicken. Aber nein. Für sich genommen sind die Stücke nämlich unglaublich charismatisch und eigenständig. Man ignoriert den an Mittelmäßigkeit grenzenden Gesang in den viel kritisierten Strophen. Die Songs bleiben hängen, gerade weil man sich damit auseinandersetzt und meint, etwas verbessern zu können. Und irgendwie verbreitet die Band einen Hauch von morbidem Charme, auch durch ihren Gesamtauftritt.